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Titel
D'une guerre à l'autre. Que reste-t-il de 1870–1871 en 1914 ?


Autor(en)
Chanet, Jean-François; Cochet, François; Dard, Olivier; Necker, Eric; Vogel, Jakob
Erschienen
Anzahl Seiten
452 S.
Preis
€ 28,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gabriele B. Clemens, Lehrstuhl für Neuere Geschichte, Universität des Saarlandes

2014 wurde in Gravelotte im Departement Mosel ein Museum eröffnet, das den Deutsch-Französischen Krieg thematisiert und wie wohl kein anderes französische und deutsche Aspekte berücksichtigt. Bei Gravelotte Saint-Privat kam es im August 1870 zu einer der wichtigsten Schlachten des Krieges und der kleine Ort wurde zu einem der bevorzugten Erinnerungsorte der deutschen Armeen. Anlässlich der Museumseröffnung fand im März 2014 eine internationale Tagung statt, auf die der vorliegende Band zurückgeht. Diskutiert wurde, wie sich der Deutsch-Französische Krieg auf den Ersten Weltkrieg auswirkte. Wie auf der Tagung überwiegen auch im Sammelband gemäß der derzeit vorherrschenden Kulturgeschichte erinnungsgeschichtliche Themen, aber auch Militärgeschichte im engeren Sinn findet Beachtung. Es ist an dieser Stelle nicht möglich alle 23 Beiträge zu berücksichtigen, die durchweg von Autorinnen und Autoren verfasst wurden, die sich mit grundlegenden Publikationen zu ihren jeweiligen Themen ausgezeichnet haben und ihre Forschungen hier resümieren.

Mehrheitlich behandeln die Autoren ihren Gegenstand in nationaler Perspektive, nicht so Jakob Vogel, der seinen Beitrag zu den Veteranenverbänden transnational konzipiert. Das bietet sich auch an, zum einen weil sich die Kriegervereine dies- und jenseits der Grenze immer wieder reflektierend aufeinander bezogen. Zum anderen weil sich deutsche und französische Veteranen auf den ehemaligen Schlachtfeldern im Laufe der Zeit wieder näherkamen, vor allem aufgrund des lebhaften Schlachtfeldtourismus in Elsass-Lothringen. Wie bei allen Aufsätzen, die sich mit dem Erinnerungskult auseinandersetzen, wird deutlich, dass es große Unterschiede zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich gab. Hier wurde ein Sieg gefeiert, dort musste eine Niederlage verkraftet werden und der Wunsch nach Revanche und Rache überwog. Im Deutschen Reich feierten die Veteranen sich gemeinsam mit Monarchen und ihren Militärs, in Frankreich blieben die staatlichen Institutionen den Kriegervereinen gegenüber in der Reserve, partiell agierten diese gegen die Republik. Im Laufe der Jahrzehnte erfuhren die deutschen Kriegervereine einen Bedeutungsverlust gegenüber anderen chauvinistisch-völkischen Vereinen, wohingegen in Frankreich die Zahl der Mitglieder in den Regionalvereinen zunahm. Für beide Länder lässt sich nach 1900 eine zunehmende Historisierung feststellen. Begegneten sich die Veteranen vor dem Krieg kameradschaftlich auf den ehemaligen Schlachtfeldern, hinderte sie das nicht daran, bei Kriegsausbruch 1914 wieder martialische Töne anzuschlagen.

Die Omnipräsenz von patriotischen Kriegsmotiven in der französischen Alltagskultur thematisiert Elise Dubreuil vor allem an Beispielen von Taschen- oder Halstüchern. Die darauf abgedruckten Bilder stellen die Traumata heraus und evozieren eine Zukunft mit einer wiederhergestellten Ordnung aufgrund von Reparation und Rache. Thomas Weißbrich fokussiert die eminente Bedeutung des Fahnenkults. Deutlich macht dies der folgende Vorfall: Am 23. Juni 1919 wurden in Berlin nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrages französische Fahnen, die im Krieg erobert wurden, von Gardeoffizieren vor dem Reiterstandbild Friedrichs des Großen verbrannt. Diese Aktion löste einen internationalen Skandal aus. Die Fahnen der Truppe, die während des Kampfes im Feld zur Schau gestellt werden – ihr Ergreifen oder der Verlust dieser Trophäen waren enorm wichtig für die Konstruktion von Identitäten und für die Erinnerungskultur. Illustriert wird dies sehr schön auf dem Umschlag des Bandes. Im Zentrum des Schlachtenbildes von Carl Röchling, das ein Gefecht bei Gravelotte heroisiert, steht die preußische Fahne während eines Sturmangriffs. Weiter thematisiert wird die deutsche Schlachtenmalerei leider nicht. Welches Potential dieses Sujet bietet, zeigt der überzeugende Beitrag von François Robichon zu französischen Kriegsbildern. Gemeinhin gilt, dass die französische Militärmalerei den Krieg hinterher verherrlicht und aufgrund der großen Verbreitung dazu beigetragen habe, ein Bild vom Krieg zu prägen nach dem Motto, man sei beherzt in den Kampf gezogen. Der Kult der Flaggen und der individuelle Heroismus wurde übersteigert bis zur Karikatur. Ein liberaler Journalist, Urbain Gohier, bemerkte 1899, dass in den Salons seit 25 Jahren mehr Tote Deutsche auf den Schlachtfeldern liegen und mehr deutsche Gefangene auf den Leinwänden defilieren, als je im Krieg gewesen seien (S. 260). Doch die Spaltung in der französischen Gesellschaft führte auch zur Spaltung in der Kunst. 1902 stellte ein Salon ein heroisches Bild von Alexandre Bloch, die „Fahne bei Mars-la-la Tour“, aus und im Konkurrenzsalon wurde zeitgleich von Pierre Lagarde ein Bild „Der Rückzug“ gezeigt, auf dem sich eine Truppe geschlagen wie mutlos zurückzieht und eine zerstörte Landschaft hinterlässt. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurden wieder mehr patriotische Bilder gemalt, die an die Opferbereitschaft appellierten. Folgen wir Robinchon, dann trägt die Kunst dazu bei, auf den Krieg vorzubereiten. Nach 1918 gibt es dann keine heroischen Schlachtenbilder mehr.

Bemerkenswerte Ergebnisse fördert der Beitrag von Philippe Salson und Guillaume Parisot zur Besetzung des nordöstlich gelegenen Departements Aisne 1870 und 1914 aufgrund intensiver Archivrecherchen zu Tage. Sie widerlegen mit ihrem Beitrag abermals die zu steile These von John Horne und Alan Kramer über die unverhältnismäßigen Grausamkeiten der deutschen Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung motiviert durch Hysterie und eingebildete Freischärlerübergriffe.1 Horne und Kramer gehen für den Ersten Weltkrieg von 6400 zivilen Toten aus, davon wurden 906 in Frankreich exekutiert, 725 nach schweren Vorfällen und 181 mit Fällen mit weniger als zehn Toten. Für Aisne, das vier Jahre lang besetzt blieb, lässt sich kein schwerer Vorfall nachweisen. Und auch 1870 gab es deutlich weniger schwere Vorfälle als die Geschichtsschreibung über den Krieg glauben lassen möchte. Hinterfragt wird die These von François Roth, der behauptet, dass Rambervillers, Châteaudun, Châtillon-sur Seine und Fontenoy-sur Moselle Schauplätze von erbarmungslosen Repressalien gewesen seien, welche die Gewalttaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges präfigurierten. In Rambervillers und Châteaudun hatte die Bevölkerung mit ihren Nationalgarden tatsächlich Widerstand geleistet. In beiden Kriegen blieben die Repressionsmechanismen gegenüber der Bevölkerung dieselben. Aber 1914 wurde – zwar nicht qualitativ aber doch quantitativ – in einigen Kommunen Belgiens und Nordostfrankreichs das übliche Maß an Gewalt überschritten, wo es zu Massakern kam, die sich nicht mit 1870 vergleichen lassen. Die Gewalttaten erfolgten jedoch nicht systematisch, so dass die kulturelle Erklärung einer kollektiven Psychose gegenüber Freischärlern einfach nicht greift. Auch die Erklärung, dass mit dem Kriegseintritt die Schwelle zur Gewaltbereitschaft sinke, ist nicht stichhaltig. Die örtlichen Autoritäten riefen 1814, 1870 und 1914 die Bevölkerung nicht zum Widerstand, sondern zur Ruhe auf. Und die Waffen sollten auf der Mairie abgegeben werden. Ein weiterer Beitrag von Armel Dirou zeigt zudem mit aller Deutlichkeit, dass es 1870 Angriffe von Freischärlern gegeben hat und als Reaktion darauf, Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung.

Zwei Sektionen der Tagung waren militärischen Doktrinen, Taktik und Praxis gewidmet. Was haben die Militärs gelernt und was wurde danach gelehrt (François Cochet). Nach dem Krieg rüstete das französische Kriegsministerium vor allem in der Artillerie auf, der man einen großen Teil der Verantwortung für die Niederlage 1870 zuschob (Christophe Pommier). Mathieu Marly fokussiert die theoretischen Taktikreflexionen und zeigt deren Wirkungslosigkeit, da das französische Militär als Institution tief verwurzelt blieb in den kulturellen, politischen und sozialen Grundmustern des 19. Jahrhunderts. Geoffrey D.W. Warron vertritt die These, dass das französische Berufsheer gegen die von ihnen als „Ensemble von Novizen“ verspotteten deutschen Truppen, die mit Wehrpflichtigen kämpften, verloren hat, weil es mehrfach die Chance zum Gegenangriff verstreichen ließ. Es war nicht der Geist der Offensive der Deutschen, sondern die Passivität der Franzosen, die den Krieg entschieden hat. Alles in allem zeigen mehrere Beiträge, dass die Erfahrungen von 1870, nicht nur in Gravelotte, einem Kult der Offensive schuf, der 1914 zu selbstmörderischen Aktionen führte. Erstaunlich bleibt, dass in allen Beiträgen immer nur von den deutschen, allenfalls von den preußischen Truppen die Rede ist, dabei haben bayerische, württembergische und sächsische Truppen ebenfalls gekämpft. Außerdem vermisst man Karten in dem ansonsten mit sehr schönen Bildmaterial üppig ausgestatteten Band. Alles in allem bietet er durchweg anregende Beiträge zum Deutsch-Französischen Krieg, seine Auswirkungen auf die deutsch-französischen Beziehungen nach 1870 und zeigt abermals nachdrücklich, dass der Erinnerungskult nie die gesamte Bevölkerung einer Nation erreichen kann. Die Rezeption ist immer abhängig von konfessionellen Prägungen, politischen Einstellungen und sozialen Verhältnissen.

Anmerkung:
1 Vgl. John Horne und Alan Kramer, German Atrocities 1914, New Haven 2002. Dass die beiden partiell der Propaganda glauben und Gewalttaten für Orte behaupten, an denen sich überhaupt keine deutschen Truppen aufgehalten haben, wurde in zwei neuere Studien minutiös nachgewiesen: Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen vom Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen, Berlin 2016; Ulrich Keller, Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914, Paderborn u.a. 2017. Vgl. auch die folgenden Beiträge auf H-Soz-Kult: Peter Hoeres: Rezension zu: Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914. Untersuchungen zum Verfall einer Wissenschaft und zum Umgang mit nationalen Mythen. Berlin 2016 , in: H-Soz-Kult, 11.08.2016, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26029 (27.07.2018); Bastian Matteo Scianna: Tagungsbericht: German Atrocities 1914 – Revisited, 27.10.2017 Potsdam, in: H-Soz-Kult, 24.11.2017, www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7409 (27.07.2018).

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